- Text : Christiane Fux
- Lesedauer : 7 Minuten
Obwohl das Thromboserisiko für ältere und kranke Menschen erheblich höher ist, trifft eine tödliche Lungenembolie immer wieder auch jüngere, gesunde Menschen. Auch, weil bei ihnen die auslösende Thrombose häufiger übersehen wird.
NetDoktor sprach mit dem Blutgerinnungsexperten Priv.-Doz. Dr. Robert Klamroth darüber, was die Warnzeichen für eine Thrombose, aber auch eine Lungenembolie sind – und wer besonders gefährdet ist.
Priv.-Doz. Dr. Robert Klamroth
Priv.-Doz. Dr. Robert Klamroth ist Chefarzt der Klinik für Innere Medizin – Angiologie und Hämostaseologie und Leiter des Zentrums für Gefäßmedizin am Vivantes Klinikum im Friedrichshain. Er ist außerdem Vorsitzender der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung e.V.
Herr Dr. Klamroth, wie merke ich überhaupt, dass ich vielleicht eine Lungenembolie habe und zum Arzt muss? Leichte Luftnot kann ja auch andere Ursachen haben.
Richtig, eine Lungenentzündung oder Asthma beispielsweise. Deshalb ist die Lungenembolie eine der am häufigsten übersehenen Diagnosen. Ein wichtiger Hinweis ist aber ein plötzlicher Leistungsknick ohne erkennbaren Anlass, wie ein Infekt.
Wie äußert sich das?
Anfangs treten Symptome wie Luftnot nur unter Belastung auf. Wenn man sonst problemlos in den dritten Stock steigt und plötzlich am ersten Absatz Pause machen muss. Oder merkt, dass man plötzlich zu wenig Luft kriegt, wenn man zum Bus rennt. Wenn man dann nach Luft japst, ist es ein klares Zeichen, dass etwas nicht in Ordnung ist.
Gibt es weitere Warnzeichen?
Die meisten Patienten haben eine Tachykardie (beschleunigter Herzschlag, Anm. d. Redaktion), weil das Herz sich so anstrengen muss, um weiter Blut durch die Lunge zu pumpen. Manche haben auch Bluthusten. Und fast zehn Prozent haben als erstes Symptom gleich eine Synkope – die werden einfach ohnmächtig.
Wohin wende ich mich bei verdächtiger Luftnot und anderen Warnzeichen?
Sie können zum Hausarzt gehen oder direkt in die Notfallambulanz im Krankenhaus. Das hat den Vorteil, dass man dort im Zweifelsfall direkt eine gesicherte Diagnose stellen kann. Dort kann man direkt eine sogenannte Angiografie mit Kontrastmittel durchführen. Auf diesen Bildern lässt sich ein verstopftes Gefäß in der Lunge erkennen. Auf einem Röntgenbild sieht man das nicht.
Und man kann im Zweifelsfall direkt behandeln.
Richtig. Mit Antikoagulantien, also Gerinnungshemmern, oder in schweren Fällen auch mit einer Lysetherapie, die den Thrombus wieder auflöst. Alternativ entfernen wir heute Lungenembolien aber auch mechanisch über einen Katheter.
Auslöser einer Lungenembolie ist fast immer ein Blutgerinnsel. Meist bildet sich das in einer Beinvene und wandert dann über die Blutbahn in die Lunge. Was sind hierfür die Risikofaktoren?
Unabhängig vom Alter ist das Thromboserisiko nach größeren Operationen, bei Krebs sowie nach Erkrankungen oder Verletzungen besonders hoch, nach denen man kaum laufen kann. Aber es gibt auch die Möglichkeit, dass man eine Gerinnungsstörung geerbt hat. Beispielsweise gibt es Menschen mit einem erblich bedingten Antithrombin-Mangel.
Das ist ein Protein, das die Blutgerinnung hemmt.
Richtig. Eine solche genetische Variante verstärkt die Blutgerinnungsneigung erheblich. Patienten mit einem relevanten Mangel an Antithrombin haben häufig schon vor dem 40. Lebensjahr ihre erste Thrombose. Aber das ist eine sehr seltene Gerinnungsstörung. Diese Menschen bekommen dann auch lebenslang Gerinnungshemmer, die das Thromboserisiko wieder um 95 Prozent reduzieren.
Leichtere erbliche Gerinnungsstörungen sind aber gar nicht so selten.
Die verbreitetste ist die Faktor-V-Leiden-Mutation, eine milde Gerinnungsneigung. Sie betrifft etwa fünf Prozent der Normalbevölkerung. Der Grund dafür, dass sie sich evolutionsbiologisch so stark durchgesetzt hat, ist, dass man mit dieser Veranlagung weniger schnell verblutet. Beispielsweise verlieren Frauen bei der Entbindung oder Männer im Kampf weniger Blut. Interessanterweise überlebt man mit der Mutation aber auch eine schwere Sepsis, also eine Blutvergiftung, eher.
Wie gefährlich ist die Faktor-V-Leiden-Mutation?
Das Thromboserisiko ist bei Faktor-V-Leiden etwa fünf- bis siebenmal höher als gewöhnlich. Bei jungen Menschen fällt das allein nicht ins Gewicht. Von denen entwickelt etwa einer von 10.000 innerhalb eines Jahres eine Thrombose. Mit der Mutation sind es dann fünf von 10.000 – aber 9.995 bekommen keine Thrombose. Anders sieht es aus, wenn die Mutation homozygot auftritt, also wenn man das problematische Gen von Vater und Mutter geerbt hat. Dann ist das Risiko wirklich deutlich höher als gewöhnlich.
Wie wirkt es sich aus, wenn neben so einer Veranlagung weitere Risikofaktoren hinzukommen, wie wenig Bewegung, Übergewicht, Rauchen, Schwangerschaft oder eine hormonelle Verhütung?
Das ist ein wichtiger Punkt. Eine Thrombose hat fast nie nur eine Ursache – beispielsweise eine größere OP. Die Risikofaktoren für Thrombose addieren sich nicht nur, sie multiplizieren sich sogar. Irgendwann ist dann eine Schwelle überschritten, und dann bildet sich ein Blutgerinnsel.
Haben Sie ein Beispiel?
Nehmen wir an, eine junge Frau mit einer milden Gerinnungsstörung nimmt eine östrogenhaltige Pille, die das Risiko zusätzlich noch einmal verdreifacht. Dann ist ihre Wahrscheinlichkeit für eine Thrombose schon 15-fach erhöht. Fliegt sie dann auch noch in die USA, ist das Thromboserisiko doch relevant, auch wenn sie noch jung ist.
Wie verändert sich das Risiko denn allgemein mit zunehmendem Alter?
Ganz einfach formuliert, verdoppelt sich das Thromboserisiko alle zehn Jahre. Etwa ab dem sechzigsten Lebensjahr steigt es dann allerdings steil an! Mit 80 Jahren liegt die Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines Jahres ein Gerinnsel zu entwickeln, etwa bei eins zu hundert.
Ein Problem ist ja, dass viele Personen mit Thrombosen nicht zum Arzt gehen, weil ihnen gar nicht klar ist, dass etwas Gravierendes nicht stimmt. Können Sie typische Warnzeichen für eine Thrombose benennen?
Es gibt tatsächlich Thrombosen, die man gar nicht spürt. Aber das ist eher selten. Die meisten Betroffenen beschreiben einen muskelkaterähnlichen Schmerz im Bein. Wenn ich dafür keine andere Erklärung habe, ich beispielsweise gestürzt bin oder am Vortag intensiv Sport getrieben habe, ist das schon mal ein Hinweis. Anders als ein Muskelkater geht der Thromboseschmerz nicht von allein weg.
Wie äußert sich eine Thrombose noch?
Sitzt die Thrombose weiter oben am Bein, kann auch ein unspezifischer Schmerz, beispielsweise im Rücken auftreten. Wenn so ein unerklärlicher Schmerz länger als ein, zwei Tage anhält, dann sollte man damit doch zum Arzt gehen. Viele Patienten kommen aber erst, wenn ihr Bein dick wird. Das passiert, weil der Abfluss aus dem Bein gestört ist. Häufig tritt dann auch eine leichte bläuliche, manchmal rötliche Verfärbung auf.
Wer einmal eine Thrombose hatte, entwickelt häufig später eine weitere. Wie oft kommt das vor?
Das hängt von den Risikofaktoren und Ursachen ab. Wenn die Thrombose scheinbar aus heiterem Himmel auftritt, bekommen etwa zehn Prozent im ersten Jahr nach Absetzen der Gerinnungshemmer eine zweite Thrombose. Wenn jemand aber eine schwere Gerinnungsstörung oder eine Krebserkrankung hat, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass sich erneut eine Thrombose bildet.
Wie kann man gegensteuern?
Je nach Risikofaktoren entscheiden wir uns dann vielleicht für eine langfristige Behandlung mit Antikoagulanzien – allerdings in einer niedrigen Dosis. Das senkt das Thromboserisiko deutlich – gleichzeitig ist zwar auch das Blutungsrisiko erhöht, aber immer noch gering. Nochmal anders ist die Lage, wenn es einen klaren Auslöser gab, der nicht mehr vorliegt, beispielsweise eine längere Immobilität. Dann ist das Risiko einer erneuten Thrombose gering.
Angenommen, ich habe eine Thrombose. Wie hoch ist dann das Risiko für eine Embolie?
Das hängt auch davon ab, wie genau man guckt. Wenn man eine ganz feine Diagnostik macht, würde man sehen, dass bei der Hälfte der Thrombosen auch ein bisschen des Gerinnselmaterials in der Lunge landet. Das merken die meisten Patienten aber gar nicht, weil es nur so wenig ist.
Wie viele Patienten spüren tatsächlich etwas von ihrer Embolie?
Das sind etwa 20 bis 30 Prozent. Aber auch bei ihnen ist es meistens so, dass sich die Embolie über einen längeren Verlauf entwickelt. Wird die Thrombose nicht behandelt, wächst der Thrombus immer weiter und löst sich dann auch leichter. Interessanterweise gibt es aber auch Patienten, die einen massiven Thrombus haben, der sich nicht löst, und die dann auch keine Lungenembolie bekommen.
Weiß man, warum?
Ob ein Thrombus sich löst, hängt auch davon ab, wie adhärent er ist, also wie fest er haftet. Wahrscheinlich hängt das vor allem mit der Beschaffenheit der Gefäßwand im Bein zusammen. Es gibt aber auch ganz andere Fälle: Da haben Patienten eine Lungenembolie, ohne dass wir eine Beinvenenthrombose finden. Da vermuten wir allerdings, dass sich bei denen das gesamte Thrombosematerial auf einmal gelöst hat und in die Lunge gewandert ist.
Dann wird es gefährlich.
Natürlich: Wenn es ein großer Thrombus ist, plötzlich hochschießt und die Blutbahn der Lunge verlegt, ist das akut lebensbedrohlich. Wenn das Herz es nicht mehr schafft, das Blut durchzupumpen, dann verstirbt man. Normalerweise ist es aber nicht so, dass man eine Lungenembolie bekommt und dann tot umfällt. In den meisten Fällen sammelt sich das Thrombusmaterial über Tage hinweg an. Man hat also Zeit zu reagieren.
Bei entsprechenden Warnzeichen wie unerklärlicher Luftnot oder Wadenschmerzen zügig ärztliche Hilfe suchen, kann also lebensrettend sein.
Richtig. Wichtig ist, dass Sie nicht abwarten und hoffen, dass es von allein besser wird!
Das Interview führte Christiane Fux.
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